Donnerstags kocht Oma neuerdings meistens Pasta-Gerichte, weil mein Patenkind Miriam, von uns liebevoll Mieze genannt, am liebsten Nudeln isst. Deshalb gibt es immer erst um viertel nach eins Mittagessen, denn früher kann sie nach Schulschluss nicht hier sein; dann hat sie eine Stunde Zeit, bevor sie wieder losziehen muss, um zum Sportunterricht nicht zu spät zu kommen.
Auch wenn der Vormittag dadurch sehr lang wird, Oma und ich schätzen dieses Arrangement. Schließlich ist es nicht selbstverständlich, dass eine Vierzehnjährige immer noch wöchentlich ihre Tante und ihre Uroma besucht und sie in ihre täglichen Probleme einweiht. Und davon hat sie regelmäßig welche.
Heute zum Beispiel sehe ich ihr schon an der Nase an, dass sie sich wieder mit irgendetwas herumschlägt. Ich brauche gar nicht erst zu fragen, denn sie wird es sowieso nicht für sich behalten können. Und tatsächlich, sie hat kaum einen Berg Nudeln mit Gulasch auf ihren Teller gehäuft, da richtet sich ihr Blick schon auf Oma Alma. „Sag mal, hattet ihr früher eigentlich auch Valentinstag?“
„Nee“, sagt Oma kopfschüttelnd. „Den Quatsch haben die Amerikaner erfunden, genau wie Muttertag. Sowas gibt es nur, damit die Leute, die Blumen und Pralinen verkaufen, auch mal wieder ein gutes Geschäft machen.“
Mieze nickt stirnrunzelnd und wendet sich an mich. „Und als du in der Schule warst, Tante Bea?“
„Ich kann mich nicht erinnern“, erwidere ich. „Was hat Schule mit Valentinstag zu tun? Das ist doch mehr was für Liebespaare.“
„Ja, irgendwie schon“, sagt meine Nichte und verzieht das Gesicht. „Aber es gibt doch auch in der Schule schon Leute, die fest miteinander gehen und so.“
Jahrelange Erfahrung hat mich gelehrt, dass es am besten ist, das Thema geradeheraus anzugehen. „Worum geht es dir konkret, Mieze? Willst du uns mitteilen, dass du einen festen Freund hast? Ist es Jamie?“ Mit dem ist sie nämlich schon eine Weile befreundet, aber wir sind nach wie vor nicht sicher, wie tief das geht. Jamie ist ein netter Kerl, aber wir wissen doch alle, dass nette Kerle immer Gefahr laufen, nicht mehr als nur gute Kumpel zu sein. Friend-zoned nennt man das heutzutage, glaube ich.
Mieze windet sich ein bisschen, und das macht mich misstrauisch. Vielleicht weiß sie selber noch nicht so recht, was sie davon halten soll. Aber wenn sie das Thema schon von sich aus anschneidet, dann möchte sie offensichtlich einen Rat von uns. „Jamie und ich … Also, das ist kompliziert.“
„Beziehungen sind immer kompliziert“, sage ich zu ihr. „Damit wirst du dich abfinden müssen.“
„Aber mit dir und Felix es ist nicht so!“, widerspricht sie mir. „Er liebt dich, du liebst ihn, alles ist gut.“
„Felix und ich sind aber auch über zwanzig Jahre älter als du. Als ich vierzehn war, hätte ich das noch nicht so genau gewusst. Das Leben hat nicht vorgesehen, dass Teenager bereits absolute Klarheit über ihren zukünftigen Lebensweg haben.“
Ich hätte mich gewundert, wenn Oma sich nicht in die Diskussion einmischen würde. „Beate hat recht, Kind. Jamie ist ein netter Junge, aber du musst ihn doch erst mal auf Herz und Manieren prüfen. Lass dir Zeit.“
„Das will ich ja auch“, stößt Mieze heftig hervor und stochert in ihre Nudeln herum. „Aber wie gesagt, bald ist Valentinstag.“
„Wo ist das Problem?“, will ich wissen.
„Also“, beginnt mein Patenkind. „Der Jahrgang 13 hat sich da so eine Aktion überlegt, um Geld für ihre Abi-Party zu erwirtschaften. Die kaufen Rosen für einen Euro und verkaufen sie für drei Euro weiter. Der Dreh ist, dass man seiner Rose einen kleinen Zettel anhängt mit dem Namen desjenigen, der sie bekommen soll, und am Valentinstag gehen die dann durch die ganze Schule und verteilen die Blumen.“
„Keine schlechte Idee“, finde ich. „Wir haben damals für unsere Abi-Party Autos gewaschen. Das war viel mühsamer.“
„Ja, super“, knurrt Mieze. „Aber ich weiß jetzt nicht, was ich machen soll.“
So langsam verstehe ich, worauf sie hinaus will. „Du musst dich jetzt entscheiden, ob du Jamie eine Rose schickst oder nicht?“
„Genau!“, jammert sie. „Ich würde das ja auch machen, Jamie hätte es wirklich verdient, schon allein wenn man bedenkt, wie viel Zeit er investiert hat, um mit mir für diese Geometrie-Klassenarbeit zu üben.“
„Dann solltest du das auf jeden Fall tun“, rät Oma Alma ihr. „Es schadet nie, jemandem seine Dankbarkeit zu zeigen.“
„Aber es geht dabei nicht um Dankbarkeit“, gibt Mieze zu bedenken. „So eine Rose sagt doch viel mehr aus.“
„Du möchtest also nicht, dass er glaubt, dass du in ihn verknallt bist?“, versuche ich, die Sache auf den Punkt zu bringen.
Mieze wird rot. „Naja … Ich mag ihn ja wirklich gern … Aber was, wenn ich ihm eine Rose schicke und ich kriege dann keine von ihm?“
Erst jetzt begreife ich, in was für einer Zwickmühle sie sich befindet. Ich versuche mich daran zu erinnern, wie ich mit vierzehn war, und kann es total nachvollziehen. Es wäre unangenehm, wenn sie Jamie in aller Öffentlichkeit ihre Zuneigung demonstriert und dann herausfindet, dass er sie nicht entsprechend erwidert. „Huh“, mache ich, „das ist ja wirklich nicht so einfach.“
„Genau!“, stimmt sie mir zu. „Aber wenn ich ihm keine Rose schicke und er bestellt mir eine, das wäre zu peinlich. Und das Oberpeinlichste wäre, wenn er von mir keine bekommt, aber eine von Laura aus der 9C. Ich weiß genau, dass die auf ihn steht.“
Oh je. Die Sache wird immer verzwickter. Ich fühle mich zwar geschmeichelt, dass mein Patenkind mich und ihre Uroma auf diese Weise in ihr Leben miteinbezieht, aber im Augenblick weiß ich wirklich nicht so recht, was ich ihr raten soll.
Ihre schwierige Lage hindert Mieze nicht daran, mit großem Vergnügen ihre Nudeln zu vertilgen. Während sie das tut, machen Oma Alma und ich uns Gedanken.
„Ich finde“, sagt Oma schließlich, „dass du mit Jamie vorher reden solltest.“
Mieze schaut sie ungläubig an. „Du meinst, ich soll ihn fragen, ob er mir eine Rose schicken will?“
„Ja, das meine ich“, antwortet Oma. „Dann weißt du wenigstens Bescheid.“
„Hättest du das damals getan? Ich meine, hättest du Uropa Willi gefragt, ob er… ?“
Oma schürzt nachdenklich die Lippen. „Das waren andere Zeiten, Kind. Da schickte man sich keine Rosen, und schon gar nicht in der Schule.“
„Wie war das denn dann, Urahne? Wie habt ihr euch kennengelernt?“
Jetzt bin ich selbst gespannt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Geschichte schon einmal gehört habe – auf jeden Fall könnte ich sie nicht erzählen.
Oma zuckt mit den Schultern. „Das war eigentlich ganz einfach“, sagt sie. „Ich war achtzehn und habe in der Gastwirtschaft meines Vaters geholfen. Willi Blücher kam jeden Freitag dorthin und hat mit seinen Freunden Karten gespielt, und eines Tages hat er mich gefragt, ob ich mit ihm zum Schützenfest gehe. Ein halbes Jahr später hat er bei meinen Eltern um meine Hand angehalten. Und das war’s.“
Ich habe den Verdacht, dass sie da einiges ausgelassen hat. Aber es reicht erst mal, um Miezes Frage zu beantworten – Oma schien jedenfalls nicht so komplizierte Herausforderungen lösen zu müssen, bevor sie sich mit Opa Willi einig war.
Bevor mir klar wird, dass ich auch nicht ganz raus bin aus der Gefahrenzone, wendet Mieze sich an mich. „Und du, Tante Bea? Du warst doch früher mal mit meinem Papa zusammen, oder nicht?“
Ja, man wird seine Vergangenheit nicht los, es sei denn, man tritt in ein Zeugenschutzprogramm ein. Ich werde jetzt sehr vorsichtig antworten. „Ich war auch schon achtzehn, bevor ich mit deinem Vater befreundet war“, beginne ich. „Wir haben uns immer mal wieder auf Partys getroffen und sind miteinander ins Gespräch gekommen, und irgendwann war dann da mehr.“
Vor allen Dingen für mich war da mehr, erinnere ich mich. Jens hingegen lernte ja dann meine Schwester kennen, und ich denke nicht so gern an die Zeit, die dann folgte. Auch wenn ich heute froh bin, dass es so gelaufen ist und ich inzwischen mit Felix zusammen bin, weiß ich noch sehr genau, wie verletzt ich war. Vielleicht sollte ich Mieze mehr darüber erzählen, damit sie schon vorbereitet ist auf all das Herzeleid, das ihr möglicherweise noch im Leben bevorsteht. Aber es geht um ihre Eltern, und ich möchte auf keinen Fall neue Schwierigkeiten in der Familie heraufbeschwören.
Das Ende vom Lied ist, dass Mieze – weiterhin ratlos – unseren Esstisch verlässt, um zu ihrer Volleyball-AG zu gehen. Oma und ich sehen uns an. „Sie kann einem schon leidtun, nicht wahr?“, sagt sie zu mir. „Ich dachte immer, dass es heutzutage für junge Leute einfacher ist. Aber egal, wie sich die Zeiten ändern, es ist wohl immer schwierig mit den Gefühlen.“
„Allerdings“, muss ich zugeben. „Niemand mag sich blamieren. Niemand möchte bloßgestellt werden. Und schon gar nicht in diesem schwierigen Alter.“
„Dabei hat sie sonst oft so eine große Klappe“, sagt Oma seufzend. „Und dieser Jamie ist doch kein übler Kerl. Wenn sie vorher mit ihm redet…“
„Oma, wenn sie mit ihm redet, dann läuft sie Gefahr, ihre Freundschaft zu ihm kaputt zu machen. Stell dir mal vor, er sieht in ihr nicht das Mädchen, dem er eine Rose zum Valentinstag schicken möchte. Dann wird er vermutlich auf Abstand gehen.“
„Und andererseits“, nickt sie, „dürfte er ziemlich enttäuscht sein, wenn er ihr eine kauft und von ihr keine bekommt. Ob wir vielleicht…“
„Oma!“, rufe ich erschrocken. „Wir halten uns da raus! Wenn wir uns hier einmischen, dann laufen wir Gefahr, dass Mieze nicht mehr zu uns zum Essen kommt. Sie wird stinksauer sein, wenn wir da irgendwas anrichten.“
An Omas enttäuschtem Gesicht kann ich erkennen, dass sie durchaus etwas in dieser Hinsicht vorhatte. „Aber Beate“, argumentiert sie. „Meinst du nicht, Miriam könnte ein wenig Unterstützung gebrauchen? Besondere Ereignisse erfordern besondere Ausnahmen.“
„Nein, Oma“, sage ich mit fester Stimme. „Wir halten uns da raus. Das müssen die beiden ganz alleine unter sich ausmachen.“
Ich weiß, es fällt ihr schwer. Mir geht es ja genauso. Aber ich wäre damals auch nicht dankbar gewesen, wenn jemand anderes versucht hätte, in mein Liebesleben einzugreifen.
Vielleicht hätten wir nie herausgefunden, wie es mit dem ganzen Rosenkrieg weiterging, wenn nicht außer Valentinstag im Februar nun auch mal Karneval wäre. Mieze hat Oma gefragt, ob sie ihr bei der Herstellung eines Kostüms behilflich sein kann, und dafür erscheinen am Samstag mein Patenkind und Jamie gemeinsam bei uns. Sie haben sich überlegt, dass sie als Miss Piggy geht und er als Kermit der Frosch, wofür sie sich bereits ein paar billige Fleece-Decken gekauft haben, die nun zu dem jeweiligen Kostüm umgearbeitet werden sollen.
Ich weiß nicht, was Jamie noch tun sollte, um Mieze von seiner unverbrüchlichen Treue zu überzeugen, als ich ihn mit seinen grasgrünen Klamotten durch unser Wohnzimmer staksen sehe, einschließlich der grünen Taucherflossen, die er bestimmt noch bedauern wird. Natürlich sieht sie auch ganz niedlich aus mit ihrem rosa Tüllröckchen und der selbstgebastelten Nase aus pinkfarbenem Eierkarton. Begeistert strahlen sie sich gegenseitig an. Wenn die beiden es jetzt nicht begreifen, dann ist ihnen nicht zu helfen.
Oma sieht auch ganz zufrieden aus. „Und wo geht ihr hin mit diesen Kostümen?“
„Da ist eine Stufen-Fete in der Aula“, erklärt Mieze ihr. „Am Karnevals-Freitag. Ich glaube, das ist der siebzehnte.“
„Ist dann nicht dieser Valentinstag?“, fragt sie. Ich weiß, es soll ganz harmlos klingen, aber ich erkenne das Funkeln in ihren Augen und werde etwas nervös. Sie wollte sich doch nicht einmischen!
„Nein, das ist der vierzehnte, Urahne. Valentinstag ist dieses Jahr ein Dienstag.“
„Echt jetzt?“ Jamie lässt überrascht seine grasgrüne Mütze fallen. „Mist, an dem Tag bin ich nicht in der Schule! Da habe ich einen Termin beim Kieferorthopäden für meine neue Zahnspange.“ Er sieht Mieze bekümmert an. „Dann macht es wohl wenig Sinn, Rosen zu bestellen, was?“
Ich sehe, wie eine feine Röte auf ihre Wangen tritt. „Wohl kaum“, erwidert sie. „Aber du könntest ja später vorbeikommen und mir deine Spange vorführen.“
Er verzieht das Gesicht. „Du willst dir wirklich das Blech in meinem Mund angucken?“
„Na klar!“, behauptet sie. „Und dann könnten wir uns statt Rose bei McDoof einen Milkshake gönnen. Der geht auch mit neuer Spange.“ Ich habe den Eindruck, ihr Tüllröckchen wippt ein wenig selbstbewusster. Gut für sie. Gut für Jamie.
Und gut, dass Oma und ich uns nicht eingemischt haben. Manche Dinge regeln sich am besten von selbst.
Zum Herunterladen gibt es die Geschichte hier auch als pdf-Datei. Sie kann gern weitergegeben und vorgelesen werden – vor dem Abdruck bitte ich allerdings, mich zu kontaktieren.
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